Ein fortgesetzter Abrechnungsbetrug gegenüber den Krankenkassen über einen längeren Zeitraum rechtfertigt die Prognose, die Hebamme biete zukünftig nicht mehr die Gewähr, ihren Beruf ordnungsgemäß unter Beachtung ihrer Berufspflichten auszuüben.
In einem solchen Fall sieht das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Voraussetzungen für den Widerruf der nach § 1 Abs. 1 HebG erteilten Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung “Hebamme” als gegeben an. Nach § 3 Abs. 2 HebG ist die Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich die Voraussetzung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 HebG weggefallen ist. Nach der zuletzt genannten Vorschrift ist eine Erlaubnis auf Antrag zu erteilen, wenn der Antragsteller sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufes ergibt. Als unzuverlässig ist ein Erlaubnisinhaber anzusehen, wenn er keine ausreichende Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft seinen Beruf ordnungsgemäß unter Beachtung aller in Betracht kommenden Vorschriften und Berufspflichten, insbesondere ohne Straftaten zu begehen, ausüben wird, und sich dadurch Gefahren für die Allgemeinheit oder die von ihm behandelten Patienten ergeben. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist die Frage, ob die im Rechtsstreit für den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung festgestellten Tatsachen die rechtlichen Kriterien der Unzuverlässigkeit erfüllen. Das ist hier der Fall. Die Klägerin hat über einen längeren Zeitraum in erheblicher Weise gegen ihre Berufspflichten verstoßen, so dass sie bei Erlass des Widerrufes nicht die Gewähr bot, künftig die Berufspflichten einer Hebamme einzuhalten.
Nach dem Ergebnis des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens … gegen die Klägerin wegen Abrechnungsbetruges, das in Gestalt der Anklageschrift vom 21. Juni 2007 Grundlage des gegen die Klägerin erlassenen Strafbefehls des Amtsgerichts C. wegen Betruges gemäß §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4, 248a, 53 StGB vom 17. Dezember 2008 in Höhe von 90 Tagessätzen zu 50,- € ist, hat die Klägerin in der Zeit vom 9. Dezember 2003 bis zum 12. Februar 2006 in neun Fällen gegenüber zwei Krankenkassen, gegenüber der AOK in acht Fällen (Gesamtschaden: 1.212,44 EUR) und gegenüber einer weiteren Krankenkasse in einem Fall (Schaden: 462,20 EUR), Hebammenleistungen abgerechnet, die sie tatsächlich gegenüber den versicherten Patientinnen nicht erbracht hatte.
Abgesehen davon überzeugt der vorgetragene Einwand der Klägerin, die Zeugin F. habe mit ihrer Unterschrift auf dem Stundennachweis die Zahl und Dauer der erbrachten Leistungen bestätigt, nicht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 der Hebammen-Vergütungsvereinbarung (Anlage 1 zum Vertrag nach § 134a SGB V) in der Fassung vom 1. August 2007 sind von der Hebamme erbrachte Leistungen spätestens am Tage nach der Leistungserbringung von der Versicherten unter Angabe der Art der Leistung, des Datums sowie der Uhrzeit der Leistungserbringung und, soweit dies für die Höhe der Vergütung der Leistung von Bedeutung ist, die Dauer der Leistung durch Unterschrift zu bestätigen (Versichertenbestätigung). Zwar galt diese Vereinbarung zum Zeitpunkt der hier vorgeworfenen Tathandlungen noch nicht. § 4 der Vergütungsvereinbarung umschreibt aber die Anforderungen, die an einen beweiskräftigen Nachweis für erbrachte Leistungen zu stellen sind. Die Unterschriftsleistung der Zeugin F. genügt diesen Vorgaben nicht. Der Namenszug befindet sich lediglich einmal und undatiert ganz am Ende auf dem Stundennachweis ohne Bezug zu den einzelnen von der Klägerin zwar mit Datum, jedoch ohne Angaben zu der Art der Leistung und zum Teil auch zur Dauer der Leistung angeführten Hebammenleistungen.
Die Prognose, die Hebamme werde auch in Zukunft ihre berufsspezifischen Pflichten missachten, wird bestätigt durch die der behördlichen Entscheidung nachfolgende rechtskräftige Verurteilung der Klägerin zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 25,– € mit Urteil des Amtsgerichts Celle vom 1. April 2009. In einem Verfahren um den Widerruf einer heilberuflichen Berufserlaubnis dürfen die in einem rechtskräftigen Strafurteil enthaltenen Feststellungen zur Grundlage einer behördlichen oder gerichtlichen Beurteilung der betroffenen Persönlichkeit gemacht werden, soweit sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit solcher Feststellungen ergeben. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass in einem Strafverfahren regelmäßig weitergehende Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhaltes als in einem Verwaltungsverfahren bestehen, einem rechtskräftigen Strafurteil eine materielle Richtigkeitsgewähr zukommt und die dort getroffenen Feststellungen somit für die verwaltungsbehördliche Entscheidung über den Fortbestand der Erlaubnis grundsätzlich übernommen werden können. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auch mit der rechtskräftigen Verurteilung der Klägerin begründet hat.
Dass die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Celle am 1. April 2009 ihren Einspruch gegen den Strafbefehl auf das Strafmaß beschränkt und darauf verzichtet hat, mehrere geladene Zeugen zu vernehmen, geht zu ihren Lasten. Die von der Klägerin erstmals jetzt vorgetragenen Motive für diese Handlungsweise, nämlich ihr angegriffener Gesundheitszustand wegen des Todes ihres Lebenspartners, sind weder Gegenstand ihrer Einlassungen im strafgerichtlichen Verfahren gewesen noch finden sich Hinweise darauf in dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 1. April 2009. Angesichts der Bedeutung des strafgerichtlichen Verfahrens für die weitere Berufsausübung der Klägerin vermag diese Begründung auch nicht zu überzeugen. Denn zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht war bereits der Widerruf des Beklagten ergangen. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin die Beschränkung des Einspruchs gegen den Strafbefehl auf das Strafmaß und den Verzicht auf weitere Zeugenvernehmungen damit begründet, sie habe darauf vertraut, ihre Argumente an anderer Stelle, nämlich im Verwaltungsverfahren oder vor dem Verwaltungsgericht vortragen zu können. Das Verwaltungsverfahren war am 1. April 2009 bereits beendet. Da der Vorwurf strafrechtlicher Verfehlungen vorrangig im Strafverfahren aufzuklären ist, konnte die Klägerin auch nicht davon ausgehen, dass das Verwaltungsgericht die im strafgerichtlichen Verfahren mit Einverständnis der Klägerin unterbliebene weitere Zeugenbefragung nachholen würde.
Die Hebamme ist auch trotz des verhältnismäßig geringen finanziellen Schadens in Höhe von 1.674,64 € als unzuverlässig zur weiteren Ausübung ihres Hebammenberufes anzusehen. Sie hat über einen Zeitraum von 2 1/4 Jahren in neun Fällen vorsätzlich fehlerhaft zu Lasten der Krankenkassen Leistungen abgerechnet und dadurch die Versichertengemeinschaft nachhaltig geschädigt. Ins Gewicht fällt dabei, dass gegen die Klägerin bereits im Jahr 2001 ein Verfahren wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges zum Nachteil der AOK eingeleitet wurde, das später nach § 153a StPO eingestellt wurde. Dieser Tatvorwurf hätte die Klägerin veranlassen müssen, zukünftig äußerst sorgfältig gegenüber den Krankenkassen abzurechnen. Das Verwaltungsgericht durfte bei seiner Prognose auch berücksichtigen, dass gegen die Klägerin im Juli 2007 ein weiteres strafrechtliches Ermittlungsverfahren unter dem Aktenzeichen … eingeleitet wurde, dem wiederum der Vorwurf von Betrugshandlungen zu Lasten mehrerer Krankenkassen im Zuge von Abrechnungen im Jahr 2005 zugrunde lag. Dieses Verfahren wurde im Juli 2008 unter der Auflage einer sofortigen (teilweisen) Schadenswiedergutmachung gemäß § 153a StPO eingestellt. Bei Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere der langjährigen betrügerischen Abrechnungspraxis, ist deshalb die Annahme gerechtfertigt, die Klägerin werde auch zukünftig Leistungen gegenüber den Krankenkassen abrechnen, die von ihr tatsächlich nicht oder nicht wie abgerechnet erbracht wurden.
Die Klägerin hat die berufsrechtliche Zuverlässigkeit auch nicht bis zum Erlass des Bescheides des Beklagten vom 16. März 2009 wiedererlangt. Eine beanstandungsfreie Abrechnungspraxis über mehrere Jahre, die Grundlage für eine solche Annahme sein könnte, ist nicht ersichtlich. Gegenwärtig ist bei der Staatsanwaltschaft Celle ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin anhängig, dem der Anfangsverdacht zugrunde liegt, die Klägerin habe in mehreren Fällen zu Lasten der AOK in den Jahren 2007 – 2009 Leistungen falsch abgerechnet. Ob der Tatvorwurf in dem von der Klägerin in der Zulassungsbegründung angeführten Einzelfall berechtigt ist, wird in dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bzw. in einem nachfolgenden strafgerichtlichen Verfahren aufzuklären sein. Angesichts des erneut im Raum stehenden Betrugsverdachtes kann von der Wiedererlangung der berufsrechtlichen Zuverlässigkeit nicht ausgegangen werden.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 25. Februar 2011 – 8 LA 330/10